Ida - Teil 11
Ida war noch nie zuvor in ihrem Leben in einem so großen
Museum gewesen. Und es gab auf diesem Gelände insgesamt drei von diesen
Gebäuden. Viele Menschen mussten sehr viel gemalt haben, um diese Häuser zu
füllen.
"Hier - das ist eines von Franz Marc. "Kämpfende
Formen" heißt es. Das ist eines seiner letzten Bilder bevor er im ersten
Weltkrieg gestorben ist." Max schob sie vor das Bild und Ida blieb der
Mund offenstehen. Sie wusste, dass es nicht erlaubt war, Bilder in Museen
anzufassen, aber der Drang war fast übermächtig. Das Bild zog sie an wie sonst
es nur Bücher schafften und sie bekam gar nicht mit, dass Max sagte, er gehe
schon mal in den nächsten Raum. Als sie sich endlich wieder von dem Bild
losreißen konnte und sich nach Max umschaute, war dieser verschwunden. Sie fand
ihn weder im nächsten noch im übernächsten Raum und auch nicht im Stockwerk
darüber oder darunter. Max war weg. Sie war ganz allein in einem Museum in
München. In einem ihrer Bücher hatten sich die Protagonisten immer dadurch
wiedergefunden, dass sie sich an dem Platz wiedergetroffen haben, an dem sie
zuletzt zusammen waren. Ida sprintete die Treppen in den ersten Stock so
schnell hinauf, dass einer der Museumswärter sie vorwurfsvoll ansah. Keuchend
blieb sie vor dem Franz Marc-Bild stehen. Der Raum war leer, gerade eben hatten
ihn andere Besucher verlassen. So etwas passierte, wenn man sein Zuhause
verließ - man ging verloren in der großen Stadt. Sie konnte ja noch nicht
einmal zu Hannah und Max in die Wohnung gehen, weil sie die Adresse nicht
wusste. Sicher, Mama und Papa hatten sie dort abgeliefert und sie war zwei Tage
lang zwischen Julians Buchladen und der Wohnung hin- und hergegangen. Aber sie
hatte nie auf die Straßennamen geachtet. Wozu auch? Die Erwachsenen waren ja immer
dabei.